Blindes Huhn putzt Fenster
Sicherlich fragt ihr euch, wie ein blinder Mensch Fenster
putzen kann, denn diese Frage habe ich mir am Anfang meiner Erblindung ebenso
gestellt. Ich war mir sicher, dass das schier undenkbar und unmöglich ist. Also
haben wir Fensterputzer engagiert.
Aus dem Bekanntenkreis heraus, sind uns dann vier männliche
Fensterputzer empfohlen worden, die sich nebenher ein wenig Geld verdienen
wollten. Der Haken an der Sache war allerdings, dass sie nur die Glasscheiben
reinigen würden, keine Rahmen und auch keine Fensterbänke. Zusätzlich
erwarteten sie abgeräumte Fensterbänke, aber da wir nicht viel Schnickschnack
rumstehen haben, stellte das auch kein Problem dar und die Jungs traten zum
ersten Mal an.
Nach getaner Arbeit erhielten sie ihren Lohn. 30 Euro für
alle Fensterscheiben im Haus und wir begannen anschließend die Fensterrahmen
und Fensterbänke zu reinigen. Irgendwie war das schon sehr doppelt gemoppelt
und das gefiel mir gar nicht. Nachdem die Männer circa sechs Mal bei uns waren,
dacht ich mir, so schwer kann das blinde Fensterputzen auch nicht sein und so
wappnete ich mich mit einem Putzeimer, gefüllt mit Wasser und Reinigungsmittel,
Lappen, einem Geschirrtuch und meinem Ha-Ra. Das Ha-Ra besaß ich noch aus
meinem sehenden Leben und voller Tatendrang machte ich mich an die Arbeit.
Das Reinigen als solches machte mir keine Schwierigkeiten,
aber ich überlegte, wie ich jetzt mit dem Abziehteil die Fenster wieder streifenfrei
trocken bekommen sollte. Ich setzte den Ha-Ra am Rand der Glasscheibe an und
fühlte mit dem linken Zeigefinger, wo der Rand des Ha-Ras endete. Ich legte den
Zeigefinger auf den Rahmen vom Fenster, damit ich einen Anhaltspunkt hatte, wo
der Ha-Ra aufhörte. Und nun zog ich die Scheibe trocken, aber danach musste ich
das Gummi wieder trocken machen und nun kam das Problem. Wie sollte ich das mit
einer Hand schaffen? Ich benötigte ja eigentlich den Finger auf dem Rahmen,
damit ich wusste bis wohin ich die Schreibe abgeflitscht hatte. Es blieb mir
jedoch keine Wahl, ich musste den Finger lösen und das Gummi abtrocknen. Jetzt
war ich schon verunsichert, denn ich konnte nun ja nicht mehr feststellen, bis
wohin ich meine Arbeit gemacht hatte.
Auf gut Glück setzte ich meinen Ha-Ra wieder oben an und zog
ab.
Prima dachte ich, geht doch!
Und so putzte ich alle Fenster im Haus in der Hoffnung, dass
ich keine Streifen hinterließ!
Mein größtes Problem war die große Balkon-Fensterscheibe.
Sie besteht aus drei Elementen, d. h. es sind insgesamt sechs Glasflächen, die
bis zum Boden reichen.
Sehr, sehr mühsam, vor allem wenn man nicht sehen kann.
Als ich damit fertig war, war ich fix und fertig, aber ich
hatte trotzdem allen Spaß beim Fensterputzen, obwohl ich das früher nie gern
gemacht hattte. Heute macht es mir aber tatsächlich Spaß.
Als Oliver von der Arbeit nach Hause kam, stand ich in der
Küche und musste grinsen. Er fragte mich, warum ich grinse? Ich schaute ihn an
und sagte zu ihm, er solle sich mal umsehen. Vor allem sollte er mal zu den
Fenstern schauen. „Sag mal, hast du etwa die Fenster geputzt“? „Ja klar“, sagte
ich zu ihm. „Und? Bist du zufrieden“?
„Das gibt's doch nicht“, sagte er zu mir!
„Ich glaube es nicht!
Meine blinde Frau hat die Fenster geputzt!“
Naja, meinte er zwar, hier und da sind Streifen, aber es sei
dir nicht zu verübeln, „du blindes Huhn!“ Wir mussten beide herzlich lachen.
Aber ich bin ja nicht dumm. Ich sagte zu Oliver: „da du ja jetzt die 30 € für
die Fensterputzer sparst, kannst du sie mir ja geben. Und wir beide brachen in
ein lautes Gelächter aus.
Und so ist es nun, ihr Lieben, seither putze ich die Fenster
ganz alleine. 30 € werden so gespart und ich habe viel Spaß daran! Wieder vergeht
etwas dunkle Zeit, ich habe alle Hände voll damit zu tun und nach getaner
Arbeit bin ich sehr, sehr stolz auf mich, denn niemals hätte ich gedacht, dass ich
das hinbekommen würde.
Eure Kerstin
Anmerkung:
Dieser Beitrag enthält ein Bild. Es zeigt einen Wolkenkratzer mit Glasfassade und einen blauen Himmel.
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