Samstag, 29. April 2017

Dunkelmomente - Blinde Floristin

Bittere Einsicht

Wie ihr bereits wisst, war ich in meinem sehenden Leben mit Leib und Seele Floristin. Bis heute fehlt mir diese Tätigkeit unheimlich.

Im Oktober 2005, kurz vor Aller Heiligen, fragte ich mich, wo wir die Gestecke für die verstorbenen Familienangehörigen bestellen sollten. Aber kurzer Hand sagte ich zu meiner Tante: „Ich werde das schaffen“, Oliver hilft mir sicherlich dabei.

Und wir schafften es gemeinsam.

Oliver wusste ja genau, wie die Gestecke aussehen sollten und die sahen dann tatsächlich so aus wie früher. Einfach perfekt und ich hatte wieder Spaß und war total stolz auf mich. Und so nahm die Geschichte ihren Lauf.

Wir hatten einen Kellerraum noch zur freien Verfügung und diesen gestaltete Oliver mir zu einem Binder-Raum um. Wir meldeten wieder das Gewerbe an und bestückten den Blumen-Binde-Raum so wie in meinem alten Blumenladen. Eine Freundin von mir gestaltete Flyer und wir tauften das Nebengewerbe auf den Namen:

„Kerstins Blumenzauber.“

Wir verteilten Flyer in allen Geschäften unseres Dorfs und so machte die Information schnell die Runde, dass ich wieder als Floristin tätig war. Es folgten Aufträge zu Hochzeiten, Trauerfloristik und so weiter.

2006, eine Woche vor dem ersten Advent, veranstalteten wir unsere erste Adventsausstellung. Zusammen mit Oliver und meiner Freundin Sabine gestalteten wir die Garage in einen wundervollen Weihnachtszauber. Wir
hatten auch Annoncen geschaltet und so wurde diese Adventsausstellung zu einem riesigen Erfolg.

Vor unserem Haus bauten Oliver, mein Papa und mein Schwiegervater ein Zelt auf, in dem wir sogar Kaffee und Kuchen angeboten und der Erlös ging an den Kindergarten im Dorf. Sabine und ich hatten an beiden Tagen alle Hände voll zu tun.

Ich war einfach nur stolz und hatte ein wenig das Gefühl, ein normaler Mensch zu sein.

Auch ehemalige Kunden fanden den Weg zu uns in die Garage und ich war glücklich. Ich freute mich über jeden, der zu uns kam. „Wie machst du das, Kerstin,“ fragten sie mich natürlich und zur Antwort bekamen sie:

„Einfach mit Gefühl und Tasten!“

Für uns stand fest, dass es auch im darauffolgenden Jahr eine Adventsausstellung in unserer Garage geben würde.

Früher hatte ich mit einem Bestatter zusammengearbeitet und deren Tochter Madeleine hatte bei mir ein Praktikum gemacht. Sie kam immer ins Casa del Flora helfen, wenn wir viel Arbeit hatten. Zur Adventsausstellung 2007 kam sie zusammen mit ihren Eltern bei uns vorbei. Sie erzählten mir, dass sie in der Ausbildung zur Floristen sei, aber sie war in ihrem Ausbildungsbetrieb nicht glücklich. Irgendwann hatten wir die Idee, dass Madeleines Vater mich bei einem Trauerfall wieder als Floristin anbieten würde. Die Leute aus dem Dorf Thalexweiler kannten mich ja noch vom Casa del Flora her. Wenn er mir dann den Trauerschmuck in Auftrag gab, durfte Madeleine mir helfen. So hatte ich Unterstützung und ich half ihr bei ihrer Ausbildung. Sie lernte schnell und wir hatten viel Spaß. Sie war sehr dankbar, denn diese Tätigkeit wurde ihr in ihrem Ausbildungsbetrieb nicht erlaubt. Dies gehört aber zu einer Ausbildung dazu. Komischer Ausbildungsbetrieb, dachte ich mir nur.

Meine ehemalige Angestellte Petra, die meinen Blumenladen Casa del Flora gekauft hatte, zog aus den ehemaligen Geschäftsräumen aus, in einen kleineren Laden. So standen meine alten Geschäftsräume leer und mein ehemaliger Vermieter fragte mich, ob ich niemanden wüsste der Interesse daran hätte, die Geschäftsräume zu mieten. Oliver und ich erzählten dies den Eltern von Madeleine und schnell stand fest, dass sie diese Geschäftsräume mieten würde und ihren eigenen Blumenladen eröffnen sollte.

Ich übernahm als Ausbilder das dritte Lehrjahr von Madeleine. Natürlich bin ich jeden Tag zur Arbeit in den Blumenladen, aber ich kam nicht wirklich zurecht mit dieser Situation.

Ich stieß an meine Grenzen.

Drei Monate später fiel ich in eine schwere Depression, denn ich musste feststellen, dass man als Blinder nicht im Beruf der Floristin arbeiten kann.

Wieder einen Strich unter mein sehendes Leben zu ziehen, fiel mir unendlich schwer.

Heute arbeite ich nur noch für mich, wenn es mir danach.  

Eure Kerstin

Anmerkung:

Dieser Beitrag enthält Bilder. Auf dem ersten Bild liegt ein bunter Blumenstrauß mit einem weißen Band auf Treppenstufen. Das zweite und dritte Bild zeigt die Adventsausstellung 2006, während Kerstin und Sabine Gestecke zaubern.


3 Kommentare:

  1. Liebe Kerstin, ich graturliere dir zu deinem Mut so lange durchzuhalten. Leider kenne ich nicht jeden HIlferuf deines Körpers, die du alle übersehen hast, weil dir das Blumenhandwerk für dich so wichtig hieltst. Das kann ich so gut verstehen, Blumen sind einfach etwas Wunderbares. Kannst du nicht mit jemandem zusammen in einem kleineren Rahmen floristisch tätig werden, vielleicht fällt dir etwas ein! Ich glaube es ist eine wichtige Aufgabe für dich. Weil du jedoch so eine starke Persönlichkeit bist, kam deine Depression recht spät. Viele Menschen in der heutigen Zeit überschätzen sich total und enden in einer Depression. Aber "man und auch frau" kommt wieder auf die Füße. Lass dir von einer Therapeutin / einem Therapeuten helfen und habe erneut Mut, etwas neu zu beginnen. Nur lasse dir dafür jetzt genügend Zeit und....sei stolz auf dich, dass du diese Situation nun erkannt hast. Ich wünsche dir viel Erfolg und noch mehr Geduld mit dir selbst. Du bist wichtig, halte dir das immer vor Augen. Jemand, der weiß, aus eigener Erfahrung, wovon er spricht. Liebe Grüße

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    2. Hallo. Vielen Dank erst einmal für deine lieben Worte. Es ist auch in einem kleineren Rahmen sehr schwierig als Floristen zu arbeiten – vor allem wenn man blind ist. Auch bei einem Psychologen war ich schon und es hat mir nichts gebracht. ich finde es sehr schade, dass ich nicht mit dir in Kontakt treten kann denn von deinen Zeilen her, denke ich mir, dass auch du einige Probleme hast. Vielleicht überlegst du es dir ja noch mal. Liebe Grüße Kerstin

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