Donnerstag, 21. September 2017

Dunkelmomente - Abenteuer Deutsche Bahn Teil 2

Fahrt mit der Deutschen Bahn und meine blinde Sehnsucht nach Hause


Ein paar Tage bevor ich die Heimreise aus der Schweiz antreten wollte, erkundigte ich mich erneut telefonisch bei der Deutschen Bahn, wie sich meine „barrierefreie“ Rückreise gestalten würde.

Ach, du lieber Gott! 

Noch komplizierter als die Hinfahrt.

Wie auf im Beitrag (Link zum Beitrag) meiner Hinfahrt in die Schweiz bereits berichtet, würde der Zug nicht von Zürich bis Baden Baden fahren, sondern nach Basel.

Zu meinem Entsetzen teilte man mir am Servicetelefon mit, dass es den Taxi-Service, den man mobilitätseingeschränkten Reisenden, Sehbehinderten und Rollstuhlfahrern zwischen Baden Baden und Rastatt angeboten hatte, nicht mehr gäbe. Ist das nicht irre, wie schnelllebig die Bahn Entscheidungen trifft? Dieser Service würde nur noch für Rollstuhlfahrer mit Elektromotor angeboten werden. Des Weiteren teilte mir die Dame mit, dass man nicht ausreichend genug Personal zur Verfügung habe, um sich um alle behinderten Reisenden zu kümmern.

Herzlichen Glückwunsch Kerstin, es kann ja nur noch besser werden. 
Aber verstehen muss ich das nicht, oder?

Also müsste ich erneut allen Mut zusammennehmen, um wildfremde Menschen um Hilfe zu bitten, denn ganz allein würde ich als Blinde ja keine Bahnhöfe wechseln können.

Einen Tag vor Antritt der Rückreise war ich so aufgeregt, dass sich das in einem unangenehmen epileptischen Anfall äußerste. Glücklicherweise war der jedoch nicht so stark ausgeprägt. Es hätte also noch schlimmer kommen können.

In Zürich vereinbarte ich vor Abfahrt des Zuges mit dem Zugführer, dass er mir in Basel beim Austeigen helfen würde. Natürlich stand kein Schaffner da und half mir. Ich schnappte mir Langstock, Trolley und Rucksack und machte mich allein zum Ausstieg bereit. Ganz zu meiner Überraschung wartete dann aber bei Ankunft in Basel ein Mitarbeiter des Umstiegs-Services auf mich. Er führte mich zum Zug, der mich nach Baden Baden fahren sollte, und begleitete mich zu meinem reservierten Platz. Ich schilderte ihm meine Situation, aber er bedauerte es aufrichtig, dass er mir mit dem Bahnhofswechsel nicht helfen könne.

Als ich in meinem Abteil saß spürte ich, dass jemand vor mir saß. Ich nahm allen Mut zusammen, beugte mich etwas vor und sagte:

„Entschuldigung! 

Eine Frau wendete sich zu mir. Ich schilderte ihr meine Situation und dass ich nicht wüsste, wie ich in Basel den richtigen Zug nach Mannheim erreichen könnte. Sie war etwas entsetzt, dass die Deutsche Bahn in einem Fall wie meinem nicht serviceorientiert tätig werden würde, aber sie erklärte mir sofort, dass sie und ihr Mann mir gern helfen würden.

Oh Mann. Ich war so froh und fing vor Erleichterung an zu weinen.

Ich rief Oliver kurz an, denn er saß zuhause und machte sich große Sorgen, ob ich das alles hinbekommen würde.

Am Bahnhof in Baden Baden angekommen, nahm das hilfsbereite Ehepaar meinen Trolley und ich hängte mich in den Arm der Frau ein. Gott sei Dank hatte ich Hilfe, denn am Bahnhof herrschte das reinste Chaos. Unmengen von Menschen rannten wild durcheinander Richtung Bus.

Allein wäre ich hier absolut verloren gewesen. 

Als der nächste Bus kam, stiegen wir ein. Und da war sie wieder, die unfreundliche und genervte junge Dame der Deutschen Bahn, mit der ich auf meiner Hinfahrt unliebsame Bekanntschaft machen musste. Ich erkannte sie eindeutig an ihrer barsch klingenden und unfreundlichen Stimme. Als sie mich dann erneut anging, brodelte es nur so aus mir heraus und ich konnte mich nicht mehr zurückhalten. Ich sagte ihr, dass ich mich über diese ganzen Umstände und über ihre extrem unfreundliche und unhöfliche Art beschweren würde.

In den vergangenen Tagen hatte ich oft an diese Person und ihre unverschämten und patzigen Antworten denken müssen. Ich wünsche niemandem etwas Böses, aber manche Menschen würde ich liebend gern zu einer Stunde absolute Dunkelheit verdonnern und sie allein irgendwo aussetzten.

In Rastatt angekommen mussten das freundliche Ehepaar und ich zum Zug nach Mannheim hetzten, um ihn überhaupt noch zu erreichen. Ich wollte mich in den Speisewagen setzen, denn in Mannheim würde mich ja ein Mitarbeiter des Umstiegsservices abholen. Aber das liebe Ehepaar blieb bei mir, setzte sich mit mir in den Speisewagen, obwohl sie nun ihre eigenen Plätze hätten einnehmen können. Um ein bisschen meine Dankbarkeit zu zeigen, ich war ja so erleichtert, lud ich die beiden zu einem Kaffee ein. Natürlich lehnten sie meine Einladung ab. Sie hätten mir wirklich sehr gern geholfen, aber ich konnte mich dann doch noch durchsetzen.

Bis Mannheim redeten wir über Gott und die Welt. Sie erzählten mir von ihrem Aufenthalt in der Schweiz und ich war so glücklich und dankbar, dass ich diese beiden lieben Menschen bei mir hatte.

In Mannheim angekommen, halfen Sie mir noch aus dem Zug, bevor wir uns mit einem dicken Knuddler verabschiedeten. Ein freundlicher Mitarbeiter der Bahn erschien dann neben mir und half mir mit dem Umstieg in den Zug nach Saarbrücken.

Eine große Hürde war geschafft und dennoch dachte ich stets daran, wie froh ich sein würde, wenn ich wieder zuhause in meiner gewohnten Umgebung sein könnte. Dann wäre wirklich wieder alles gut.

In Kaiserslautern drang plötzlich eine Durchsage durch den Zug. Es gäbe ein Problem mit den Gleisen und der Zug könnte auf unbestimmte Zeit nicht weiterfahren.
Bäng!

Akute Hilflosigkeit. Wieder dieses scheiß Gefühl der Ungewissheit. Zudem war ich morgens um 8:00 Uhr das letzte Mal auf der Toilette und nun war es 15:30 Uhr am Nachmittag. Mehr sage ich euch jetzt nicht dazu…

In meiner Hilflosigkeit rief ich Oliver auf dem Handy an, erklärte ihm meine
erneute Situation und bat ihn mich in Kaiserslautern abzuholen, denn schließlich wisse man ja nicht, wann es hier weitergehen würde. Na klar, lautete seine Antwort.

In Kaiserslautern angekommen half mir eine Frau aus dem Zug und sie führte 
mich zu einer Sitzbank. Hier wollte ich auf Oliver warten. Ich kam mit der jungen Frau gerade ins Gespräch, als eine erneute Durchsage darüber informierte, dass der Zug nun doch nach Saarbrücken weiterfahren würde. Alle Fahrgäste sollten nun wieder einsteigen, denn der Zug führe bald los. Ich konnte es nicht fassen. Die Bahn zuppelte wirklich ordentlich an meinen Nerven.

Da die Frau ebenfalls nach Saarbrücken fahren wollte, begleitete sie mich wieder in Zug. Dann rief ich Oliver an und teilte ihm mit, dass es hier nun weiterginge und er und Franzi mich in Saarbrücken abholen können.

In Saarbrücken angekommen, half mir ein junger Mann aus dem Zug. Ich war sehr froh in Saarbrücken angekommen zu sein und blieb einfach erleichtert mitten auf dem Bahnsteig stehen. Dann endlich hörte ich Franzis Stimme:

„Da ist sie ja, die Mama!“

Sie drückte und knuddelte mich und ich war einfach nur froh. Auch Oliver und ich umarmten uns innig und ich hatte schon wieder Pipi in den Augen. Ich war wieder im Saarland.

Die nächste Toilette war erst mal meine, bevor es dann endlich nach Hause ging. Ich wurde wie wild von unseren beiden Hunden, Elsa und Lena, begrüßt, als hätten wir uns Monate nicht gesehen. Ich gab noch schnell Herrn Schweiz Bescheid, dass ich zuhause war, duschte ausgiebig und machte es mir dann mit Oliver und den Hunden auf der Couch gemütlich.

Ich war total müde und so unendlich froh, wieder zu Hause zu sein.

Ihr Lieben, ich bin mächtig stolz auf mich selbst und auf meinen Mut und Willen, eine Bahnfahrt ganz alleine angetreten zu haben. Aber niemals hätte ich geahnt, dass es zu so vielen Umständen und Unregelmäßigkeiten hätte kommen können.

Ich bin all diesen Menschen dankbar, die mir selbstlos geholfen haben, aber ich bekomme nicht aus dem Kopf, wie die Deutsche Bahn mit mobilitätseingeschränkten Menschen umgeht. Es mag sein, dass die Deutsche Bahn viel versucht, aber meine Hin- und Rückfahrt sprechen eine eindeutig andere Sprache.

Ich werde mich noch lange an diese Bahnfahrten erinnern im positiven- wie auch im negativen Sinne.

Eure Kerstin


PS: Wie immer freue ich mich wahnsinnig über jeden Kommentar von euch. 

Gibt etwas, was ihr gern von mir wissen möchtet? Wie ich zum Beispiel bestimmte Dinge im Alltag erledige? Schreibt mir doch einfach und ich erkläre euch „mein“ wie.

Dieser Beitrag enthält Bilder. Das Titelbild und ein zweites Bild zeigen verlassene Bahngleise, die ins Nirgendwo führen.

4 Kommentare:

  1. Schande über die Deutsche Bahn!

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    1. Tja, mein lieber-so war das! Ganz schön heftig…

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  2. Ich sitze hier sprachlos und mit Tränen in den Augen. Wie kann man einen Menschen nur so hängen lassen.
    Änne

    PS: ich bin durch den bericht im Wochenspiegel auf den Blog aufmerksam geworden und lese mich jetzt mal so langsam ein.

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    1. hallo, meine Liebe. es freut mich sehr, dass du dir die Zeit nimmst und dich ein wenig auf meinem Blog um siehst. Nun ja, die Bahnfahrt in die Schweiz und zurück war schon eine Herausforderung. Mal abgesehen von einigen Umständen hatte ich ja doch noch Glück im Unglück. Und es gibt in unserer heutigen Gesellschaft doch noch Menschen, die keine Berührungsängste behinderten Menschen gegenüber haben. Sei lieb gegrüßt und vielleicht bis bald… Kerstin 😊

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