Hilflos + verlassen = Deutschen Bahn
Heute möchte ich euch von meiner Bahnfahrt in die Schweiz
erzählen, die ich voller Unruhe, aber dennoch auch mit Stolz als blinder Mensch
angetreten habe.
Klingt eigentlich nicht schwer, oder? Die Deutsche Bahn
bietet schließlich Service und Umstiegshilfen für mobilitätseingeschränkte
Menschen (Mobilitäts-Service) an. Saarbrücken – Mannheim, Umstiegshilfe in
Mannheim und weiter nach Zürich. Das sollte doch klappen.
Schön wäre es gewesen.
Nach telefonischer Rücksprache riet mir eine freundliche
Dame, die den Bahn-Service „Barrierefreies Reisen“ betreute, mich der Gruppe
anzuschließen, die diese Teilstrecke mit mir fahren würde. Okaaaaay, dachte ich
bei mir, ich bin ja nicht auf den Mund gefallen und werde das schon irgendwie
schaffen.
Von Saarbrücken bis Mannheim gab es keine Probleme und auch
die Umstiegshilfe klappte prima. Die nette junge Dame die mich begleitete und
unterstützte erklärte mir, dass ich jetzt mit dem Zug bis nach Karlsruhe fahren
würde. In Karlsruhe würde ich dann erneut von einem Servicemitarbeiter abgeholt
werden und würde dann mit einem Taxi bis Baden Baden fahren. Der Taxifahrer
würde mich nach der Fahrt zum Service-Point der DB bringen und von da aus
brächte mich ein DB-Mitarbeiter zum Zug nach Zürich.
Ich empfand eine Riesenfreude und hatte Tränen in den Augen,
weil ich so dankbar war, dass alles gut organisiert schien.
Bis Baden Baden verlief meine Reise genau so, wie die nette
Dame es am Telefon prophezeit hatte. Aber was dann kam, macht mich noch heute
sprachlos und wütend?
Am DB-Service-Point in Baden Baden teilte mir eine total
gestresste und absolut schlecht gelaunte DB-Mitarbeiterin mit, dass ich nun in
einen Ersatz-ICE gesetzt werden würde, der aber nur bis Basel fahren würde.
„Momentmal“, merkte ich an, „ich muss nach Zürich und nicht nach Basel!“ Die
deutlich überforderte Dame hatte nur noch patzige Antworten für mich übrig und
sie sagte mir allen Ernstes:
„Ihr Problem und dann müssen sie gucken“.
„Aha“, gab ich zur Antwort, „Ich und gucken funktioniert
nicht. Sie sehen wohl meinen Blindenstock? Ich „nix“ gucken!“
So ein unfreundliches Wesen und das am Service-Point der
Deutschen Bahn, wo man besonders auf die Bedürfnisse von
mobilitätseingeschränkten Menschen eingehen sollte. Man verfrachtete mich dann
in den Ersatz-ICE der bis Basel fuhr.
Ich wusste gar nichts mehr.
Ich wusste nicht mehr ein noch aus.
Ich fühlte mich so verloren und verlassen.
Ich war fix und fertig mit den Nerven und hatte einfach nur
noch Angst, dass ich meinen Zielort Zürich nicht erreichen würde.
In meinem Abteil sagte mir ein junger freundlicher Mann, ich
sollte einfach erstmal bis zum Bahnhof nach Basel fahren, wo dann alle
Fahrgäste aussteigen würden. Er hätte mir gern geholfen, doch er sagte mir,
dass er viel früher aus dem Zug aussteigen würde.
Als Basel erreicht war informierte eine Ansage, dass nun
alle Fahrgäste aussteigen müssten. Ich
erhob mich von meinem Platz, klappte den Langstock aus, nahm
meinen Trolley und stellte mich auf den Gang und rief einfach laut:
„Hallo“.
Eine junge Frau kam zu mir. Mit ihrem schweizer Akzent
fragte sie mich, wie sie mir helfen könne und ich erklärte ihr meine Situation
und fragte ob sie vielleicht auch bis nach Zürich fahren würde? „Doch ja“, gab
sie mir zur Antwort, aber sie und ihr Mann hätten noch einiges in Basel zu
erledigen. Ich stand ratlos da. Dann entschuldigte sich die Frau und verschwand
für einen Moment. Als sie zurückkam, hatte sie einen jungen Mann im Schlepptau,
der mir sagte, dass er ebenfalls nach Zürich fahren würde und mich gern in
Obhut nehmen würde.
Oh, mein Gott. Ich war so glücklich und dankbar!
Er half mir aus dem Zug, nahm meinen Trolley und ich durfte
mich bei ihm einhaken. Er führte mich sicher in den Zug und als wir Platz
genommen hatten, kamen wir ins Gespräch. Dass er mich siezte stört mich in
dieser Situation voller Nähe ein wenig und so bot ich ihm das Du an. Florian
hieß mein Retter, der mich so lang begleiten wollte, bis ich Herrn Schweiz auf
dem Bahnsteig treffen würde. Oh Mann, war das ein netter Mensch. Wir redeten
und redeten. Jeder erzählte aus seinem Leben und ich erzählte ihm auch von
meinem Lichtscherben-Blog.
In Zürich angekommen, setzten wir uns auf eine Bank und
warteten gemeinsam auf Herrn Schweiz. Mit einem ganz festen Knuddler
verabschiedete ich mich herzlich von Florian. Ich bedanke mich noch einmal bei
ihm für seine selbstlose Hilfe und sagte ihm, er solle so bleiben wie er sei.
Als ich etwas später auf mein Handy schaute sah ich, dass er mir bereits eine
Freundschaftsanfrage bei Facebook gestellt hatte und auch, dass er bereits den
Lichtscherben Blog abonniert hatte.
Also, meine Lieben. Es gibt wirklich noch sehr
liebenswürdige und hilfsbereite Menschen auf dieser Welt und ich danke Florian
von ganzem Herzen, dass er mir in meiner Not geholfen hat.
Heute schreiben wir uns gelegentlich WhatsApp-Nachrichten,
haben auch schon einmal miteinander telefoniert und wir haben uns versprochen,
weiterhin in Kontakt bleiben.
Das war mein Erlebnis „Bahnfahrt“. Aus dem Dunkelmoment wurde dann doch noch ein Glücksmoment.
Ich hoffe ihr konntet ein
bisschen nachempfinden, wie sehr ich Angst und Ungewissheit gefühlt habe und
vor allem, wie hilflos ich mir vorkam.
Natürlich gibt es auch einiges über meine Rückfahrt nach
Hause zu berichten. Ihr dürft gespannt sein.
Klickt HIER, um zum Beitrag zu meiner Rückfahrt zu gelangen.
Eure Kerstin
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PS: Wie immer freue ich mich wahnsinnig über jeden Kommentar von euch.
Gibt etwas, was ihr gern von mir wissen möchtet? Wie ich zum Beispiel bestimmte Dinge im Alltag erledige? Schreibt mir doch einfach und ich erkläre euch „mein“ wie.
Dieser Beitrag enthält Bilder. Das Titelbild zeigt eine schwarzweiß Aufnahme mit Bahngleisen, die ins Nirgendwo führen. Das zweite Bild zeigt ein niedliches, weißes Comic-Männchen, dass mit dunkler Brille und mit deinem Blindenstock voran läuft.
Liebe Kerstin, da ist ja einiges schief gelaufen.
AntwortenLöschenGerade wenn mal nicht alles glatt läuft, sondern Schwierigkeiten entstehen, merkt man am gut oder schlecht gelungenen Krisenmanagement, was ein Dienstleister wert ist. Und die Bahn hat sich da nicht mit Ruhm bekleckert. Immerhin wurde die Dame am Service-Point in Baden-Baden dafür auch noch bezahlt, dass sie Dich hilflos alleine ließ. Ich hätte eigentlich erwartet, dass sie z. B. sagt "steigen Sie erst mal in den Zug nach Basel, bis sie dort ankommen, habe ich was für Sie organisiert, damit sie jemanden haben, der Ihnen beim Umsteigen in Richtung Zürich hilft." Aber zu antworten "dann müssen Sie mal gucken" ist wirklich zynisch. Zum Glück hast Du den hilfsbereiten Florian getroffen!
Unter Strich kannst Du sehr stolz auf Dich sein, dass Du Dich selbst um Hilfe bemüht und sie dann auch bekommen hast. Du hast Dir trotz Angst und Ungewissheit zu helfen gewusst. Eine tolle Leisung, Hut ab!
Liebe Grüße
Gabi
Hallo, liebe Gaby. Tut mir leid, dass ich erst jetzt auf deinen Kommentar antworte. Wir waren noch in Urlaub. Ja – diese Reise in die Schweiz werde ich wohl nie vergessen! Besonders was das bahnfahren angeht! Aber auch diese unfreundliche Person des Service-Point wird mir wohl noch lange in Erinnerung bleiben. Trotz allem bin ich sehr stolz auf mich… Liebe Grüße Kerstin 😊😊😊
LöschenLiebe Kerstin,
AntwortenLöschenals ich diesen Beitrag für dich geschrieben habe, begleitete mich unendliche Wut. Wie kann es möglich sein, dass man dir nicht die Hilfe anbieten wollte, die möglich gewesen wäre. Ich hoffe sehr, dass du dich bei der Deutschen Bahn beschwert hast, aber vermutlich läuft so eine Beschwerde ins Leere.
Ich bin super stolz, dass du diese Reise allein angetreten hast. Wahnsinn, dass du den Mut dazu gefunden hast. Du verdienst meinen ganzen Respekt und Achtung.
Fühl dich lieb umarmt,
Anja
Huhu, meine Liebe 😉 Danke für deine lieben Worte. Ich denke mir, dass eine Beschwerde bei der deutschen Bahn wirklich nicht sehr viel bringen wird. Aber – wer weiß… auch ich bin mächtig stolz auf mich, das ist diese Reise angetreten bin. Liebe Grüße Kerstin
LöschenNeulich wollte meine Tochter nachmittags von Hamburg mit dem Zug nach Aschaffenburg. Wegen Streckenschäden auf der Hauptstrecke tuckelte der Zug über Nebenstrecken durch die Lüneburger Heide. Letztlich landete Töchterlein abends um 11 in Fulda. Nichts ging mehr an diesem Tag von dort. Unser Schwiegersohn hat sie dann von mitten in der Nacht abgeholt. Das war schon viel Stress für eine nicht mobilitätseingeschränkte Person. Für dich muss es furchtbar gewesen sein, bis der Florian auftauchte. Aber du hast es geschafft! Dank an Florian,
AntwortenLöschenOh ha-das war ja eine sehr spannende Reise für deine Tochter. Ich bin sehr froh, dass Florian mir ab Basel geholfen hat. Wer weiß-vielleicht würde ich ja heute noch dort stehen! Hilfsbereite Menschen findet man heute sehr, sehr selten und ich hatte dieses Glück… liebe Grüße Kerstin
LöschenDanke Kerstin. Ich bin zufällig auf Deinen Bericht gestossen. Ich bin entzuckt. Ich kann sehr gut nachempfinden, was du gefühlt hast, da ich selbst schwersehbehindert bin. Schön, dass du die richtigen Worte gefunden hast,um diese Situation wieder zu geben. Ich danke Dir dafür.
AntwortenLöschenMach es weiter so. Wir wollen ein selbstbestimmtes Leben!
Alles Gute
Anne
Hallo, liebe Anne. Danke für deine lieben Worte. Natürlich wollen wir ein selbstbestimmtes Leben und dafür werden wir einiges tun müssen! Liebe Grüße Kerstin 😘
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